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„Eskalation der Tarifverhandlungen“ – Das bestreikte Land

Redakteur Wirtschaft und Finanzen
„Das ist eine blanke Zumutung“ – GDL legt Bahn erneut lahm

Der Lokführerstreik der GDL im Personenverkehr hat wie geplant begonnen. Die Deutsche Bahn hatte zuvor vergeblich versucht, den 24-stündigen Ausstand gerichtlich zu stoppen. Und auch mit dem Flugzeug kommt man derzeit nicht weit.

Quelle: WELT TV

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Der Streik bei der Lufthansa fällt mit einem Arbeitsausstand der Lokführer zusammen. Reisende müssen mit erheblichen Einschränkungen rechnen – auch in den kommenden Wochen. Hat sich Lokführer-Vertreter Claus Weselsky „verrannt“? Das meinen mittlerweile sogar führende Gewerkschafter.

Die Lufthansa wird vom nächsten Streik ausgebremst: Am Dienstagmorgen um 4.00 Uhr trat das von der Gewerkschaft Ufo organisierte Kabinenpersonal am Frankfurter Flughafen in den Ausstand. Bis 23.00 Uhr sollen an Deutschlands größtem Flughafen alle Lufthansa-Abflüge bestreikt werden. Die Lufthansa ging am Montag davon aus, dass wegen des Ausstands 600 Flüge in Frankfurt ausfallen werden, 70.000 Passagiere seien davon betroffen.

Für diesen Mittwoch hat Ufo dann das Lufthansa-Kabinenpersonal am Flughafen München von 4.00 Uhr bis 23.00 Uhr zum Streik aufgerufen. Dort werden nach Einschätzung der Lufthansa 400 Flüge mit 50.000 Fluggästen nicht abheben können. Ufo hatte am Wochenende die insgesamt etwa 19.000 Flugbegleiter der Lufthansa und der Lufthansa Cityline zum Streik aufgerufen. Die Flugbegleiter der Kerngesellschaft und der Regionaltochter Cityline hatten zuvor in getrennten Urabstimmungen mit jeweils mehr als 96 Prozent für den Streik gestimmt.

Die Gewerkschaft fordert für die etwa 18.000 Kabinenbeschäftigten der Lufthansa und die knapp 1000 Kräfte der Cityline im Kern 15 Prozent mehr Geld bei einer Vertragslaufzeit von 18 Monaten. Außerdem will Ufo eine Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro sowie höhere Zulagen erreichen.

Für die Lufthansa ist dies eine von mehreren aktuellen Tarifauseinandersetzungen: In der vergangenen Woche hatte das von Verdi organisierte Bodenpersonal mit seiner mittlerweile fünften Warnstreikwelle den Passagierverkehr der Lufthansa in weiten Teilen lahmgelegt. Mit Verdi soll an diesem Mittwoch wieder verhandelt werden.

Der Streik vom Dienstag fällt zusammen mit einem neuen Streik der Lokführergewerkschaft GDL bei der Deutschen Bahn. Dieser Ausstand begann in der Nacht auf Dienstag um 2.00 Uhr und soll 24 Stunden dauern. Fahrgäste müssen seit zwei Uhr wieder mit erheblichen Einschränkungen rechnen. Während der 24-stündigen Arbeitsniederlegung soll nach Angaben der Bahn bundesweit noch ein Grundangebot von 20 Prozent des regulären Fahrplans im Fern-, Regional- und S-Bahn-Verkehr rollen.

Es sei mit erheblichen Einschränkungen zu rechnen, teilte die Bahn mit. Im Güterverkehr stehen die Züge bereits seit dem Abend still. Auch nach dem Ende des Streiks am Mittwoch müssen Fahrgäste mit Zugausfällen und Verspätungen rechnen.

Die Bahn war zuvor vor dem Arbeitsgericht Frankfurt mit einem Eilantrag gegen den Ausstand der in der GDL organisierten Lokführer gescheitert. Die Berufung wird erst im Laufe des Dienstags verhandelt. Der sechste Arbeitskampf und erste sogenannte Wellenstreik der Gewerkschaft in dieser Tarifrunde könnte nach Angaben von Gewerkschaftschef Claus Weselsky nicht der letzte gewesen sein. Er schloss auch Streiks über Ostern nicht aus. Nach Einschätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) könnte der Bahnstreik die deutsche Volkswirtschaft inzwischen über eine Milliarde Euro kosten.

Überraschend äußert nun auch die oberste Vertreterin der größten Einzelgewerkschaft, die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner, Kritik. „Ich bin der Überzeugung, das Prinzip ,Ein Betrieb - eine Gewerkschaft’ ist der beste Schutz vor Spaltung in der Belegschaft, die am Ende nur dem Arbeitgeber nutzt“, sagte Benner gegenüber „Table Media“. Hintergrund ist die Dominanz der kleineren Lokführergewerkschaft (40.000 Mitglieder) über die gesamten Lokführer – obwohl die weitaus größere EVG (180.0000) längst einen Tarifvertrag geschlossen hat.

Claus Weselsky habe sich „total verrannt und kämpft ums Überleben” zitiert „Table Media“ zudem ein nicht namentlich genanntes, führendes Mitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Die Bahn habe ein substanzielles Angebot gemacht, die Totalverweigerung der GdL habe mit Verhandlungstaktik nichts zu tun.

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Die Ökonomen vom IW sprechen indes von einer „Eskalation der Tarifverhandlungen“ in Deutschland. „Wenn in den noch ausstehenden Tarifrunden ähnlich hart verhandelt wird, droht 2024 ein Rekordstreikjahr zu werden“, sagt IW-Forscher Hagen Lesch. Denn neben dem Transportwesen laufen aktuell mehrere Tarifverhandlungen, in denen keine Einigung in Sicht ist– beispielsweise im Einzelhandel, den Universitätskliniken oder dem Baugewerbe.

Um die Intensität der Konflikte zu messen, hat Lesch eine „Eskalationsskala“ erstellt und berechnet, dass die Konflikte in den ersten Monaten 2024 im Schnitt bereits einen Wert von 4,3 auf jener Skala erreicht haben. Die siebenstufige Skala gibt an, bis zu welcher Stufe sich ein Konflikt zugespitzt hat: Von Stufe 0, in der am Tisch verhandelt wird bis zur Stufe 7, in der gestreikt wird.

Streik der Flugbegleiter bei Lufthansa und Lufthansa Cityline
Bestreikter Flughafen Frankfurt
Quelle: picture alliance/dpa/Lando Hass

„Je nachdem, wie sich diese und neue Konflikte weiter entwickeln, könnte dies den Wert im Jahresverlauf noch beeinflussen, schließlich stehen in der ersten Jahreshälfte weitere wichtige Verhandlungen in zentralen Branchen wie in der Chemie- und der Druckindustrie an“, so Lesch.

Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2023 lag die Eskalation bei 3,0 – der höchste Wert, der seit 2000 gemessen wurde. Am konfliktreichsten ging es bis Anfang März bei der GDL zu, gefolgt vom Lufthansa-Bodenpersonal und den Eurowings-Discover-Piloten.

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IW-Tarifexperte Lesch fordert nun mehr obligatorische Schlichtung. „Der Streik ist das letzte Mittel in Tarifauseinandersetzungen und muss es auch bleiben. Werden Schlichter im Streitfall einbezogen, könnten sie den Parteien bei der Kompromissfindung helfen. Das hat sich in der Vergangenheit als hilfreich erwiesen.“ Darüber hinaus sei es unverzichtbar, Streiks rechtzeitig anzukündigen, um eine Notfallversorgung sicherzustellen. Die Tarifparteien sollten daher feste Schlichtungsverfahren etablieren. „Tun sie das nicht, wird der Gesetzgeber darüber nachdenken müssen.“

Dass die Arbeitskämpfe länger ausgetragen werden und schneller in Streiks enden, hat nicht nur mit der Inflation zu tun. Viele Gewerkschaften sehen dich derzeit im Aufwind – nach jahrelangem und massivem Mitgliederschwund durch Austritt und Überalterung wurde jüngst eine Trendwende eingeleitet.

So hat beispielsweise die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nach eigenen Angaben „das bislang erfolgreichste Jahr“ seit ihrer Gründung 2001 hinter sich. Rund 193.000 neue Mitglieder sind 2023 laut Verdi-Chef Frank Werneke dazugekommen. 152.000 hätten aus der Datenbank der Mitglieder gestrichen werden müssen – 118.000 wegen Austritts, ansonsten wegen Tods oder Wechsel zu anderen Gewerkschaften oder Kündigungen aufgrund fehlender Beiträge. Die Zahl der Mitglieder stieg demnach um 2,16 Prozent auf knapp 1,9 Millionen.

mit dpa und AFP

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