Bayerns Ministerpräsident Markus Söder fordert eine Lieferung des Marschflugkörpers Taurus an die Ukraine und widerspricht damit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Es sollte keine Einzelentscheidung von Scholz sein, sagte der CSU-Chef bei einem Besuch des Lenkwaffenkonzerns MBDA Deutschland im bayerischen Schrobenhausen.
Dort wurde bis 2019 der Marschflugkörper produziert. „Diese Waffe muss zum Einsatz kommen“, so Söder. „Wir haben ein eigenes und moralisches Interesse, der Ukaine zu helfen.“ Er warf Scholz „Bockbeinigkeit“ vor, der jüngst mit dem Bezug auf seine Position als Kanzler die Lieferung kategorisch ablehnte.
Vor dem Hintergrund der Abhöraffäre von Luftwaffen-Generälen, bei der mögliche Einsatzszenarien besprochen wurden und von Russland als Beleg für eine Einbindung Deutschlands in den Ukraine-Krieg werteten, sprach sich Söder von einem Vorgehen nach dem Motto „jetzt erst recht“ aus.
Um die Lieferung des Marschflugkörpers mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern politisch abzusichern, plädierte Söder für eine erneute Abstimmung im Bundestag über die Taurus-Frage. Bei einer ersten Abstimmung auf Antrag der Union am 22. Februar stimmten lediglich 182 Abgeordnete für die Vorlage, 479 Abgeordnete dagegen, bei fünf Enthaltungen.
Söder erhielt bei seinem Besuch in der MBDA-Deutschland-Zentrale eine Kurzpräsentation vor einem Modell des gut fünf Meter langen Taurus-Marschflugkörpers. Die Lenkwaffe wird von Flugzeugen abgeworfen und steuert dann in extremem Tiefflug ihre Ziele an.
Zu den Besonderheiten gehört ihre bunkerbrechende Funktion. Die Luftwaffen-Generäle hatten in der abgehörten Videokonferenz über einen Taurus-Einsatz zur Zerstörung der Krim-Brücke diskutiert.
Entwickelt und produziert wurde der Marschflugkörper von der MBDA-Deutschland-Tochter Taurus Systems, an der auch die schwedische Gesellschaft Saab Dynamics zu einem Drittel beteiligt ist. Bislang verfügen nur Deutschland, Spanien und Südkorea über den Marschflugkörper.
Wie Söder sagte, zeige sich am Beispiel Südkorea, dass ein Taurus-Einsatz auch ohne Bundeswehrbeteiligung möglich wäre. Der bayerische Ministerpräsident plädierte für eine Wiederaufnahme der Taurus-Produktion auch für die Bundeswehr.
Deutschland müsse sich auf den „V-Fall“, also den Verteidigungsfall vorbereiten. Die Ausgaben für den Verteidigungshaushalt sollten nicht nur auf zwei, sondern auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung steigen.
MBDA-Geschäftsführer Thomas Gottschild erklärte, dass die Taurus-Produktionsanlagen selbst nach jahrelangem Stillstand nach wie vor vorhanden seien. Er wolle aber keine Angaben machen, wie lange es dauern würde, bis tatsächlich neue Marschflugkörper einsatzbereit wären.
Unter Experten wird lebhaft diskutiert, wie lange es – selbst bei einer Zustimmung zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern aus Bundeswehr-Beständen – dauern würde, bis sie von Flugzeugen der ukrainischen Luftwaffe oder zugelieferten F-16 US-Kampfjets einsatzbereit wären. In dem abgehörten Gespräch der Luftwaffen-Generäle war von sechs Monaten die Rede.
Der MBDA-Deutschland-Chef kündigte einen Ausbau der Aktivitäten an. Bis Ende 2025 werde die Zahl der Mitarbeiter in Deutschland um rund 25 Prozent oder 300 Beschäftigte steigen. Zudem würden über 200 Millionen Euro in Erweiterungen investiert.
Bei MBDA in Schrobenhausen werden auch Patriot-Raketen gebaut
Der Standort Schrobenhausen bei Ingolstadt ist seit jeher die Deutschland-Zentrale des führenden europäischen Lenkwaffenkonzerns MBDA mit über 14.000 Beschäftigten. Offiziell wird der Gesamtumsatz des vergangenen Jahres erst am 13. März bekannt gegeben. Nach WELT-Informationen stieg er 2023 von 4,21 auf 4,45 Milliarden Euro.
Schrobenhausen ist nicht nur die Produktionsstätte für die viel diskutierten Marschflugkörper Taurus. Künftig werden an dem Standort erstmals außerhalb der USA auch große Patriot-Flugabwehrraketen produziert.
Am Jahresanfang vergab eine Nato-Beschaffungsbehörde einen 5,1-Milliarden-Euro-Auftrag für bis zu 1000 Patriot-Raketen vom Typ GEM-T an ein Gemeinschaftsunternehmen von MBDA und dem US-Rüstungsriesen Raytheon.
Diese Patriot-Raketen sind wiederum ein Baustein für einen europäischen Abwehrschirm gegen angreifende Raketen, die sogenannte European Sky Shield Initiative. Die Bundeswehr will die Patriot-Raketen bis mindestens 2048 einsetzen.
MBDA hat auch eine Schlüsselrolle bei der Einführung des 3,6 Milliarden Euro teuren Abwehrsystems mit der Rakete Arrow 3 des Herstellers Israel Aerospace Industries (IAI) bei der Bundeswehr. Zeitgleich mit dem Söder-Besuch fand eine Informationsveranstaltung für interessierte Branchenunternehmen an dem Projekt statt.
Die Arrow-3-Raketen mit einer Reichweite von bis zu 2400 Kilometer sollen anfliegende ballistische Mittelstrecken- oder Interkontinentalraketen außerhalb der Erdatmosphäre bekämpfen, also noch weitreichender als die Patriot-Raketen sein.
Die Radarsysteme von Arrow 3 sollen 2025 in Betrieb genommen werden, der vollständige Schutz mit drei Standorten ist ab 2030 geplant.