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Essen & Trinken Wiener Institution

Wie überlebt das Kaffeehaus in einer ruhelosen Gegenwart?

Ressortleitung Stil, Leben und Reise
Macher Julian Lechner und Simon Schubert Macher Julian Lechner und Simon Schubert
Macher Julian Lechner und Simon Schubert
Quelle: Konstantin Reyer
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Das Kaffeehaus ist eine Wiener Institution. Doch es steht längst nicht mehr so im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens wie in seinen glanzvollsten Phasen. Zwei Wiener Gastronomen wollen ihm nun eine zeitgemäße Form geben.

Es war sicher nicht die schlechteste Idee von Julian Lechner und Simon Schubert, den Kabarettisten Thomas Maurer zur feierlichen Wiedereröffnung des „Café Florianihof“ in der Josefstadt einzuladen. Die angeregt plaudernden Gäste, allesamt neugierig auf das, was die beiden Erneuerer der Wiener Gastronomie wohl bieten würden, verstummten fast augenblicklich, als Maurer ans Mikrofon trat, um einen Evergreen der mitteleuropäischen Geistesgeschichte vorzutragen: Friedrich Torbergs „Traktat über das Wiener Kaffeehaus“ aus dem Jahr 1959. „In Wien verhält sich’s nicht so, dass die Realität eines Tatbestands allmählich verblasst und legendär wird“, schrieb Torberg damals. „In Wien entwickelt sich die Legende zur Realität.“

In den Augen des Schriftstellers, der Anfang der 50er-Jahre als amerikanischer Staatsbürger aus dem Exil zurückgekehrt war, stellte das Kaffeehaus die weitaus komplizierteste unter den Wiener Legenden dar. Eine Einschätzung, die mehr als 60 Jahre später Bestand hat, denn einerseits ist das Kaffeehaus eine Institution geblieben, die für das Wiener Selbstverständnis eine wesentliche Rolle spielt, andererseits steht es längst nicht mehr so im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens wie in seinen glanzvollsten Phasen. In seinem Idealzustand ist das Kaffeehaus eine Entschleunigungsmaschine, ein Ort der geistreichen Zeitverschwendung. Aber wer hat schon noch die Muße, stundenlang irgendwo herumzusitzen und Zeitungen zu lesen? In unserer ruhelosen Gegenwart fällt es den meisten Menschen ja schon schwer, nicht alle 30 Sekunden zum Smartphone zu greifen.

Komplizierte Legende: Szene aus dem Wiener Kaffeehaus des Zuckerbäckers Demel, aufgenommen um 1960
Komplizierte Legende: Szene aus dem Wiener Kaffeehaus des Zuckerbäckers Demel, aufgenommen um 1960
Quelle: Getty Images

Die prunkvollen Häuser wie das „Café Central“ oder das „Café Landtmann“ werden heute mit Vorliebe von Touristen frequentiert, die hastig ein Stück Torte verschlingen, um den Besuch in einem echten Wiener Kaffeehaus von ihrer bucket list streichen zu können. Mit abgewetzten Sitzbezügen und braun in braun gehaltener Innenreinrichtung gleichen die weniger prächtigen Lokale außerhalb des Rings nicht selten Zeitkapseln aus den Anfangsjahren des Farbfernsehens. Während sich die Wirtshauskultur in der österreichischen Hauptstadt in den vergangenen Jahren von Grund auf erneuert hat, ohne ihre Herkunft zu vergessen, scheint das Kaffeehaus kulinarisch ungefähr in der Zeit stecken geblieben zu sein, in der Torberg sein berühmtes Traktat verfasst hat.

Und wenn man ehrlich ist, schmecken die vielen Kaffeespezialitäten vom Einspänner (ein Mokka mit reichlich Schlagsahne) bis zum „Überstürzten Neumann“ (unten Schaum, oben Kaffee), auf deren Erfindung man in Wien so stolz ist, gemessen an heutigen Gourmet-Kaffee-Standards oft gerade mal ganz okay. Was in manchem Traditionshaus anstelle eines Espresso macchiato als „Kleiner Brauner“ serviert wird, erinnert mitunter an einen Filterkaffee mit einem Schuss Milch, der schon den halben Tag in einer Thermoskanne verbracht hat.

Überholt vom Coffeeshop

Als Aufnahmestelle für die tägliche Koffeindosis hat der Coffeeshop das Kaffeehaus überholt. Statt von einem Kellner in weißem Hemd bedient zu werden, muss man sich sein Getränk hier in der Regel selbst am Tresen abholen. Anders als Kaffeehäuser sind Coffeeshops, die sich auch im renitenten Wien verbreitet haben, keine Orte zum Verweilen, vielmehr geht hier es darum, aus einer möglichst kleinen Fläche und mit möglichst niedrigem Personaleinsatz einen möglichst hohen Tagesumsatz herauszuholen. Damit es auch bloß nicht zu gemütlich wird, müssen die Gäste oft mit wackeligen Barhockern oder Schemeln als Sitzgelegenheiten vorliebnehmen, am besten bestellen sie ihren Kaffee aber gleich „to go“.

Obwohl die Kaffeehausdichte in Wien immer noch erstaunlich hoch ist, ging einigen angestammten Lokalen nach der Pandemie endgültig die Puste aus, darunter dem 1907 eröffneten „Café Ritter“ in Ottakring (nicht zu verwechseln mit dem „Café Ritter“ in der Mariahilfer Straße). Auch das „Café Florianihof“ blieb fast ein Jahr lang geschlossen, nachdem der vorige Pächter seinen Vertrag nicht verlängern wollte. Es liegt an einer Nebenstraße zwischen Gürtel und Ring, nicht die beste Lage für Laufkundschaft. Aber die Pacht sei günstiger gewesen als gedacht, sagt Julian Lechner, der zufällig an den leer stehenden Räumen vorbeispazierte und dem Gedanken nicht widerstehen konnte, dem Kaffeehaus gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Simon Schubert eine zeitgemäße Form zu geben.

Nicht immer alles neu erfinden: Tagesbetrieb im „Café Florianihof“
Nicht immer alles neu erfinden: Tagesbetrieb im „Café Florianihof“
Quelle: www.corn.at Heribert CORN

Die Wege der beiden Gastronomen hatten sich zum ersten Mal im „Mraz und Sohn“ gekreuzt, später arbeiteten sie zusammen im „aend“, zwei Lokale, die für den kulinarischen Aufbruch stehen, den Wien in jüngerer Zeit erlebt hat. Anfang 2022 übernahmen sie das Traditionslokal „Reznicek“ (Lechner steht am dort Herd, Schubert kümmert sich um die Gäste) und machten daraus ein modernes Wirtshaus, in dem einfach alles stimmt – das Speisenangebot (klassische Wiener Küche von beglückender Güte, von Rindsuppe über Kalbsbries bis Mohnnudeln), die Weinkarte (für österreichische Verhältnisse ungewöhnlich weltoffen und mit fairen Preisen), das nüchterne und dabei gemütliche Neobeisl-Ambiente, die entspannte Atmosphäre.

„Ihr habt doch sicher keine Eile“, sagt Schubert bei einem Besuch am Wochenende vor der Wiedereröffnung des „Café Florianihof“ – und schlägt vor, die bestellten Vorspeisen lieber nacheinander zu servieren. Kein Wunder, dass sich der Name des Lokals längst auch unter Leuten zugeraunt wird, die bereit sind, für Restaurantbesuche weite Reisen auf sich zu nehmen.

Dezente Grandezza

Im „Café Florianihof“ ist gleich zu spüren, dass es den Betreibern gerade nicht darum geht, das Kaffeehaus neu zu erfinden. Im Gegenteil: Alles soll so sein wie immer, nur ein bisschen besser. Der Kaffee kann mit neumodischen Barista-Erzeugnissen mithalten und der Soda Zitron schmeckt hier ein bisschen zitroniger bei der Konkurrenz. Statt Bananenbrot und Avocado auf Sauerteigtoast gibt es Eier im Glas, gebackene Blunzn (Blutwurst) und Fiakergulasch (eine Gulasch-Variante mit gebratenen Würstchen und einem Spiegelei obendrauf, damit auch ein Kutscher davon satt wird – eine Kombination, wie sie nur aus einem so herrlich verfressenen Land wie Österreich kommen kann), der Hummus aus Käferbohnen und die Chili-Käsekrainer haben sich zuvor schon im „Reznicek“ bewährt, für Veganer sind Krautfleckerl im Angebot – lauter klare und einfache Gerichte, aber aus hochwertigen Zutaten und mit geübter Hand zubereitet.

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Das Interieur strahlt eine dezente Grandezza aus, die neuen Betreiber haben den fünf Meter hohen Wänden einen frischen Anstrich verpasst und die Lampen ausgetauscht, sonst aber kaum etwas geändert. Beim Geschirr hat sich dagegen was getan: Rosa Kaffeetassen bilden einen schönen Kontrast zu den Tischplatten aus weißgrauem Marmor. Als einziger Wandschmuck hängt ein Gemälde der Künstlerin Anna Hugo über dem Tresen und deutet an, dass es nicht nur anständigen Kaffee gibt, sondern auch eine beachtliche Weinauswahl – das Bild zeigt eine riesige Weinrebe.

Es lag jedoch nicht nur am Grünen Veltliner, dass die Wiedereröffnung des „Café Florianihof“ zum Triumph geriet – und das an einem Montagabend. Auf den Wortbeitrag von Thomas Maurer folgte ein gemeinsamer Auftritt von Der Nino aus Wien und Ernst Molden, zwei weit über die 23 Bezirke der Stadt hinaus bekannten Musikern, die mit heiterem Defätismus ihre eigenen Abwandlungen des Wienerlieds darboten und sich nicht zu schade waren, in der Vergangenheit zu schwelgen und einige Klassiker aus dem Popkanon der Stadt zu spielen, darunter Georg Danzers „Vorstadtcasanova“ und als Zugabe („wie es sich gehört, spielen wir was Deprimierendes zum Abschluss“) die Drogenhymne „Ganz Wien“ von Falco. Ein stimmungsvolles Ende für einen Neuanfang, bei dem sich die Wiener Wirklichkeit einmal mehr nach der Legende richtete.

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