CDU-Chef Friedrich Merz steht der Option eines Taurus-Ringtauschs für die Ukraine skeptisch, aber grundsätzlich offen gegenüber. „Das mag die zweitbeste Lösung sein, um das Ziel zu erreichen – besonders ehrenhaft ist das nicht“, sagte Merz am Montag nach einer Sitzung der Präsidien von CDU und CSU in Berlin.
Auf ihn wirke die Option eines Ringtausches „ein bisschen“ wie die Aussage, „Wasch‘ mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Letztlich wäre das Vorgehen der Größe und der Verantwortung Deutschlands nicht angemessen. Zudem ändere das Vorgehen ja nichts an der Sache, außer dass es ein „pseudogutes Gewissen“ erzeuge.
Seit Monaten wird über die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine gestritten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lehnt die Lieferung ab, da er unter allen Umständen verhindern will, dass deutsche Soldaten in den Krieg mit Russland involviert werden. Die Ukraine fordert ihrerseits seit Monaten die Lieferung der Flugkörper. Auch innerhalb der Bundespolitik gibt es eine Vielzahl von Politikern, die den Plan unterstützen.
Der britische Außenminister David Cameron hatte in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ einen Ringtausch angeregt, der die Bedenken von Scholz zerstreuen könnte. Bei einem solchen Ringtausch könnte Deutschland Taurus-Marschflugkörper an Großbritannien abgeben – und London seinerseits weitere Flugkörper vom Typ Storm Shadow an die Ukraine liefern. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Caren Miosga“ dazu: „Das wäre eine Option.“
Taurus ist eine Präzisionswaffe, die Ziele in 500 Kilometern Entfernung treffen kann. Die Union fordert die Lieferung der Taurus-Raketen an die Ukraine. Die Koalitionspartner der SPD – Grüne und FDP – sind ebenfalls größtenteils dafür und hatten Scholz für die Ablehnung kritisiert.
Außenministerin Annalena Baerbock zeigt sich offen für den Vorschlag ihres britischen Kollegen David Cameron, der Ukraine über einen Ringtausch neue Marschflugkörper zur Verfügung zu stellen. „Das wäre eine Option“, sagte die Grünen-Politikerin am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Caren Miosga“. Sie ließ zugleich erkennen, dass sie auch Taurus-Lieferungen an die Ukraine befürworten würde.
Sie habe schon im Sommer sehr deutlich gesagt, dass die Ukraine mit Blick auf den Minengürtel im Osten des Landes weitreichende Waffensysteme brauche, betonte Baerbock – und ergänzte auf Nachfrage: „in Klammern: auch Taurus“. Dazu zählten aber zum Beispiel auch Raketenwerfer und Panzerhaubitzen, die Deutschland bereits geliefert habe.
Grünen-Politiker Hofreiter könnte für Antrag stimmen
Einen solchen Ringtausch hatte Deutschland bereits bei der Lieferung von Panzern für die Ukraine vollzogen: Deutsche Leopard-Panzer wurden beispielsweise in die Slowakei geliefert, dafür gaben diese Länder Panzer sowjetischer Bauart an die Ukraine ab.
Der Verteidigungsausschuss des Bundestags berät am frühen Montagabend in einer Sondersitzung über die russische Abhöraktion gegen Offiziere der Luftwaffe. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wird erwartet. Hintergrund ist ein von Russland veröffentlichter Mitschnitt eines Gesprächs hoher deutscher Luftwaffen-Offiziere, in dem diese Einsatzszenarien für den Fall erörtern, dass Taurus-Marschflugkörper doch noch an die Ukraine geliefert würden. Die Union will auch den Widerstand des Kanzlers gegen eine Taurus-Lieferung an die Ukraine ansprechen.
Die Reihen der Ampel-Koalition sind in der Taurus-Debatte nicht geschlossen. Das dürfte sich auch am Donnerstag zeigen, wenn die Union im Bundestag erneut einen Antrag stellen will, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, das weitreichende Waffensystem „unverzüglich“ an die Ukraine abzugeben. Es gibt Anzeichen, dass dieser Antrag auch aus den Reihen von FDP und Grünen unterstützt werden könnte.
Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter schloss am Sonntag nicht aus, dass auch er diesmal für den Antrag stimmen werde. „Ich bin noch nicht entschieden“, sagte er dem Nachrichtenportal „The Pioneer“.
Die FDP-Verteidigungspolitikerin Agnes Strack-Zimmermann kündigte bereits ihre Zustimmung an – ähnlich wie bei einem ähnlichen Unionsantrag vor zwei Wochen. FDP-Vize Wolfgang Kubicki will sein Votum laut „Rheinischer Post“ von der Formulierung des Antrags abhängig machen.
In einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ übte Hofreiter zusammen mit dem CDU-Außenexperten Norbert Röttgen scharfe Kritik an Scholz. Beide warfen dem Kanzler „katastrophalen Defätismus (Mutlosigkeit, Schwarzseherei)“ sowie „dramatisch schlechte Kommunikation“ vor. Mit Blick auf Scholz‘ Argumente gegen eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine kritisierten sie, der Kanzler verbreite in der Bevölkerung Angst und Schrecken. Wenn Scholz behaupte, Taurus-Lieferungen machten Deutschland zur Kriegspartei, sei dies „faktisch und rechtlich falsch“.
„Die Sondersitzung muss Aufklärung bringen zum Widerspruch der Aussagen des Bundeskanzlers und des Inspekteurs der Luftwaffe zu den Voraussetzungen von Taurus-Lieferungen an die Ukraine“, sagte Henning Otte (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, dem „Spiegel“. Florian Hahn (CSU), verteidigungspolitischer Sprecher der Union, betonte: „Ich erwarte Aufklärung über die Informationsflüsse und den Entscheidungsfindungsprozess zwischen der Luftwaffe, Pistorius und dem Kanzler.“ Die Union sieht sich durch den Mitschnitt in ihrer Auffassung bestätigt, dass Taurus-Marschflugkörper ohne Zutun der Bundeswehr in der Ukraine eingesetzt werden könnten.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert verteidigte Scholz: „Ich bin überzeugt, dass Scholz mit dieser umsichtigen Art der Ukraine mittel- und langfristig einen großen Dienst erweist“, sagte Kühnert im Interview mit der „Zeit“. „Dass unsere umfassende Unterstützung weiterhin diesen breiten Rückhalt genießt, hat ganz wesentlich mit der Gewissheit der Leute zu tun, dass im Kanzleramt mit dem Kopf entschieden wird – nicht mit dem Bauch.“
Auch Scholz‘ Entscheidung den Marschflugkörper Taurus nicht zu liefern, hält Kühnert für richtig: Er erlebe, „wie zahllosen Menschen angesichts der Taurus-Äußerungen große Brocken vom Herzen fallen“. Die Bürger „schätzen am Kanzler, dass er sich nicht treiben lässt, sondern Risiken abwägt“, sagte er.
Zuletzt hatten mehrere Sozialdemokraten gefordert, die von Olaf Scholz geführte Bundesregierung müsse erkennbar auch an einer diplomatischen Lösung des Kriegs arbeiten. Kühnert sagte dazu: „Die SPD ist und bleibt Friedenspartei, was denn sonst?“
Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), hat sich gegen den von der Union geplanten Antrag zu Taurus-Lieferungen an die Ukraine ausgesprochen. „Es ist das gute Recht von CDU/CSU fortwährend denselben Antrag zur Abstimmung im Bundestag zu stellen. Aber wem nutzt das?“ sagte Roth dem „Tagesspiegel“: „Es dürfte an der bisherigen Entscheidung des Kanzlers nichts ändern.“