In zwei Jahren Krieg hat Russland eine Spur der Verwüstung durch die Ukraine gezogen. Ein Maß an Zerstörungswut und Brutalität, das Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt hat.
Ein Bericht von Weltbank, Europäischer Union, Vereinten Nationen und der Ukraine kommt zu dem Schluss, dass das Land über zehn Jahre hinweg insgesamt 486 Milliarden Dollar (umgerechnet rund 447 Milliarden Euro) benötigen wird, um sich von dem Schaden zu erholen, den Russland angerichtet hat. Laut einer Studie der Kyiv School of Economics (KSE) vom Januar beläuft sich allein der Schaden an der Infrastruktur des Landes auf 155 Milliarden Dollar.
Es ist unklar, wie viele Menschenleben Russlands Krieg bisher insgesamt gekostet hat. Mitte Januar gab das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte bekannt, dass es den Tod von 10.382 Menschen in der Ukraine offiziell bestätigen könne, die nicht dem Militär angehörten. Weitere 19.659 Zivilisten seien seit Beginn der russischen Invasion verletzt worden. Die tatsächlichen Zahlen seien aber sehr wahrscheinlich höher.
Sowohl die UN als auch die ukrainische Regierung haben Schwierigkeiten, Todeszahlen für die russisch besetzten Gebiete zu verifizieren, die am schwersten betroffen sind und in die sie keinen Zugang haben. Allein für die von Russland belagerte und eroberte Stadt Mariupol belaufen sich Schätzungen der zivilen Todeszahlen auf mehrere Zehntausend. Die auf Satellitenbildern entdeckten umfangreichen Massengräber in Mariupol geben davon schauriges Zeugnis.
Zu den Ziviltoten kommen die getöteten Soldaten auf beiden Seiten. Laut ukrainischen Angaben wurden ungefähr 407.240 russische Soldaten ausgeschaltet. Westliche Schätzungen sind zurückhaltender. Am 29. Januar nannte James Heappey, Staatsminister für die britischen Streitkräfte, in einer schriftlichen Antwort auf eine parlamentarische Anfrage die Zahl von mehr als 350.000 Toten und Verletzten auf russischer Seite.
Am 21. Februar berichteten der russischsprachige Dienst des britischen Senders BBC und das russische Medienunternehmen Mediazona, die Namen von mehr als 45.000 russischen Soldaten identifiziert zu haben, die seit Februar 2022 ums Leben gekommen seien. Dies umfasse lediglich die Soldaten, „die in öffentlich zugänglichen Quellen – hauptsächlich Nachrufen – erfasst wurden“. Tatsächlich könnten es doppelt so viele sein.
Nach Angaben des International Institute for Strategic Studies in London, das jedes Jahr die „Military Balance“-Studie zu militärischen Kräfteverhältnissen herausgibt, sind auch die russischen Verluste an militärischem Gerät enorm hoch. So habe Russland mehr als 3000 Kampfpanzer verloren, etwa so viele, wie es in seinem aktiven Inventar hatte, bevor die Invasion begann.
Die Zahl der getöteten ukrainischen Soldaten ist unklar. Im August vergangenen Jahres zitierte die „New York Times“ US-Beamte, die die militärischen Verluste der Ukraine auf 70.000 Tote und zwischen 100.000 und 200.000 Verletzte bezifferten. Die enormen Schäden, die Russland in der Ukraine anrichtet, sind unter anderem darauf zurückzuführen, dass Russland systematisch Kriegsverbrechen begeht und zivile Ziele angreift.
„Jenseits der Größe der Verbrechen ist es wichtig zu verstehen, dass die Gräueltaten ein integraler Bestandteil der russischen Kriegsziele sind“ schreibt Fredrik Wesslau, Vorsitzender des Reckoning Project, das Beweise für russische Kriegsverbrechen sammelt, im Fachmagazin „Foreign Policy“.
„Natürlich sind einige Verbrechen das Ergebnis von Aktionen außer Kontrolle geratener Soldaten. Aber der größte Teil ist darauf zurückzuführen, wie und warum Russland Krieg gegen die Ukraine führt. Diese Verbrechen sind die Regel, nicht die Ausnahme. Sie sind systematisch, wohlüberlegt und folgen einer klaren Absicht.“ Der ukrainische Generalstaatsanwalt hat inzwischen 125.000 Verfahren wegen Kriegsverbrechen eröffnet, die wahre Zahl sei aber weit höher, schreibt Wesslau.
Die Ziele der russischen Bombenkampagnen machen klar, worum es Moskau neben der Eroberung tatsächlich geht: Die ukrainische Nation soll zerstört, ihr Staat, ihre kulturelle, historische Identität und Lebensgrundlage vernichtet werden.
Laut KSE wurden bis Januar dieses Jahres 250.000 Wohnhäuser zerstört, davon 222.000 Privathäuser und 27.000 Mehrfamilien-Wohnblocks sowie 562 Wohnheime. Russland hat demnach auch etwa 160.000 Fahrzeuge der öffentlichen Verkehrsmittel der Ukraine zerstört oder beschlagnahmt. 3800 Bildungseinrichtungen wurden getroffen und 580 Verwaltungsgebäude.
Dazu kommen 426 zerstörte Krankenhäuser und insgesamt 1300 medizinische Einrichtungen. Auch 348 religiöse Zentren, meist Kirchen, wurden beschädigt sowie 48 Gemeindezentren, 31 Internate und 31 Einkaufszentren. Das macht deutlich, dass Moskau versucht, die Kernelemente des gesellschaftlichen Zusammenhalts der Ukraine zu vernichten, sowie die ukrainische Wirtschaft.
So beziffern sich Schäden und Verluste allein in der Landwirtschaft, dem wichtigsten Exportsektor des Landes, laut KSE auf mehr als 80 Milliarden Dollar. Letztlich geht es Moskau darum, die Zukunft der Ukraine als unabhängige Nation zu zerstören.
Nichts symbolisiert das drastischer als die Deportation ukrainischer Kinder nach Russland und Belarus, die dort zum Teil zwangsadoptiert und russifiziert werden. Laut Angaben der ukrainischen Regierung sind mindestens 19.500 Kinder deportiert worden.
Der Internationale Strafgerichtshof in den Haag hat deshalb Anklage wegen Kriegsverbrechen erhoben gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die Kinderrechtskommissarin Maria Lwowa-Belowa, die selbst ein ukrainisches Kind adoptierte. Nach Aussagen von Lwowa-Belowa wurden 730.000 ukrainische Kinder „aus Sicherheitsgründen“ nach Russland gebracht, die meisten davon mit Eltern oder Verwandten.
Russlands Invasion in der Ukraine löste auch die größte Flüchtlingskrise in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg aus. So sollen in den ersten Kriegsmonaten über sechs Millionen Ukrainer in andere europäische Länder geflüchtet sein, während weitere acht Millionen innerhalb der Ukraine zu Vertriebenen wurden.
Polen, Deutschland und Tschechien nahmen die meisten Geflohenen auf. Laut EU halten sich derzeit noch 4,2 Millionen Ukrainer mit einem geschützten Flüchtlingsstatus in der EU auf, davon knapp 1,2 Millionen in Deutschland und knapp eine Million in Polen.
Kein Wunder, dass sich angesichts der von Russland angerichteten Verwüstung nun die Stimmen mehren, die im Westen eingefrorenen russischen Vermögen zu konfiszieren und für die ukrainischen Verteidigungsanstrengungen und den Wiederaufbau zu verwenden. So haben westliche Staaten etwa 300 Milliarden Dollar der russischen Zentralbank eingefroren, über 220 Milliarden davon in der EU.